3 · Weltenschlüssel: Flügel-Rune
»Philia, was soll das denn?« Azur schnappte sich eines der Laken, mit denen einige der Skulpturen abgedeckt waren, ging hinter ihr auf die Knie und schlang es ihr um die Hüften. »Philia, du solltest doch nicht gleich ...«
»Doch! Du hast es mir befohlen, ... Herr. Und nimm nie wieder diesen Namen in den Mund! Du hast sie umgebracht. Das werd ich dir nie verzeihen.« Sie ergriff seine Arme, die ihr vor dem Bauch gerade das Laken verknoten wollten und zog seinen Körper mit einem Ruck eng an sich. »Tu, was du tun musst. Benutz mich! Du willst es. Du hast dich gerade dazu entschieden. Ich spür doch, dass dir diese Macht gefällt, is es nich so? Brauchst mich nich anlügen. – Mich, die Lüge selbst.«
»Serva?«
»Ja, Herr?« Die Tränen verebbten sofort in ihren leeren Gesichtszügen.
»Nenn mich nicht so!«
»Ja, Herr.« Sie leckte sich das bittere Salz vom Mundwinkel.
»Hör bitte auf, so rumzubocken, ja? Ich würde dir nie etwas antun!
Und vor allem nicht gegen deinen Willen. Das solltet du doch wissen!«
»Das hat er auch immer gesagt ... Jetzt bring es hinter dich. Oder ... bringt es hinter euch.«
Andro, der noch immer mit seiner Fassung rang, inhalierte einen tiefen Zug von seinem Kraut. »Langsam wird es mir echt unheimlich, Kiro. Was geht mit euch beiden ab? ›Serva‹? Sklavin? ›Ja, Herr‹? Haltet mich ja raus aus euren schrägen ...«
»Es ist nicht so, wie du denkst. Ich sagte dir doch, dass sie nicht einfach ist. Und du steckst schon viel zu tief mit drin, ob du willst oder nicht. Jetzt steh da nicht so angewurzelt rum, sondern bring mir lieber die Blätter in deiner Hand. Und schieb das Licht etwas her.«
Azurs Bruder drehte einen der Strahler nach unten und kniete sich zu Azur hinter Serva, die jetzt aufrecht, stumm und regungslos mit vor den Brüsten überkreuzten Armen vor ihnen verharrte. Im Bann des Spiels aus Licht und Schatten, das die Narben auf dem nackten Rücken des Mädchens warfen, kam er immer näher. Die drei Skizzen, die das unfertige Symbol bildeten, riss der Schlichter ihm ungeduldig aus der Hand.
»Siehst du?« Azur hielt das Zeichen direkt über die kleine Narbe, die wie eine Blume aussah.
»Ich sehe es. Und ich finde diese Narben alles andere als normal.
Fast als wären auf ihnen noch viele weitere winzige Narben. Wie viele kleine Striche.«
Die Kippe zwischen den sich fasziniert öffnenden Lippen, näherte sich sein Gesicht bis auf eine Handbreit ihrer weißen Haut. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er die kleinen Zeichen zu entziffern. Ein in Gedanken vertiefter Atemzug ließ den Joint aufglühen und bedachte die Haut des Flammenkinds mit einem kleinen orangen Lichtfleck.
Die schwache Wärme ließ Serva tief einatmen. Ein angenehmes Gefühl floss ihr durch die kleine Stelle über ihrem Po. »Bitte ...« Sie biss sich auf die Unterlippe. Im gleichen Moment hielten beide Brüder den Atem an.
»Kiro? Hast du das auch grade ...«
»Ja, das ist das gleiche, das auch in der Feuertonne passiert ist. Mach's nochmal!«
Andro näherte sich bis auf einen Zentimeter an und sog erneut die fachende Luft durch die Glut. Der orange Schein war diesmal viel intensiver.
Serva konnte ein Aufstöhnen nicht unterdrücken. Die wohlige Wärme durchzog nun tiefer ihren Unterleib. Sie stütze ihre Hände auf die Oberschenkel und setzte sich auf ihre Versen. »Nich ... nich aufhören«, flüsterte sie.
Azur fischte seinem Bruder das Sturmfeuerzeug aus der Jackentasche.
»Keine Angst. Ihr kann Feuer nichts anhaben.« Er ging wie sein Bruder runter auf alle Viere und entzündete den rauschenden kleinen Flammenkegel. Zusammen zündelten sie, wie sie es früher oft gemeinsam getan hatten und Jungs das nun mal im Allgemeinen gern irgendwann zu tun pflegen, mit Glut und Feuerzeug herum.
Serva konnte sich nicht länger zurückhalten. Die Hitze gab ihr ein Gefühl, das sie bereits viel zu lange vermisste. Sie gab sich einfach hin. Ihre Schneidezähne gaben ihre Lippe frei. Ihr Mund öffnete sich und ließ sie immer tiefer Luft holen. Ihr Atmen wurde zu einem leisen, gleichmäßigen Stöhnen, das rasch an Lust gewann. Ihre Hände krallten sich immer tiefer in die Haut ihrer Oberschenkel, die sich voneinander zu lösen begannen. »Das fühlt sich gut an«, hauchte sie und schloss die Augen. »Macht bitteweiter.«
Das Gewebe rund um die Blume fing golden zu leuchten an. Azur und Andro konnten es mit jedem Atemzug, den Serva rhythmisch in sich aufnahm, heller pulsieren sehen.
Bei einem unkontrollierten, kleinen Zucken von ihr berührte ihr Rücken Azurs Finger und Andros Stirn. Der Hautkontakt ließ einen Teil der Narben sofort in einem gespenstischen Dunkelgrün aufleuchten, bevor es schnell wieder erlosch.
Dann ging dem Feuerzeug das Gas aus. Im selben Moment verbrannte sich Andro die Lippen am heruntergebrannten Stummel der Zigarette. Die Wärme war abrupt verschwunden.
»Das is jetz nich euer ernst, Jungs!«
Das einzige was nun noch glühte, waren die Wangen ihrer beiden Wohltäter.
»Warte kurz! Nicht bewegen. Geht gleich weiter.« Der Künstler sprang vom Geistesblitz getroffen auf.
Azur plagte in dieser kurzen, unfreiwilligen Unterbrechung ein einzelner kleiner Gewissensbiss. Eher aus Verlegenheit als echter Sorge streichelte er ihr mit der Hand über den Rücken. »Alles okay? Es funktioniert. Mit beiden Halb-Kernen zusammen kann ich mehr erkennen als letztens in der Tonne. Ich spüre, dass wir der Lösung unseres Problems näher kommen. Wir werden nicht sterben. Versprochen!«
»Wehe du hältst dein Versprechen nich, Kiro! Ich will ehrlich zu dir sein. Ich vertraue dir nich! Okay? Und du solltest mir auch nich vertrauen. Serva wird nich immer da sein. Philia hat dich geliebt und ... ich habe sie geliebt. Du hast sie ... sie is jetz weg! Serva kann dir das nich verzeihen. Aber das is ihre Natur. Was du nich willst, ist, Neko böse zu machen! Was du Serva versprochen hast, hat sie Neko versprochen. Serva hilft Neko. Und Kiro hilft Serva, Neko zu helfen. Ich liebe Neko ..., aber ich hab auch Angst vor ihr. Ich glaub, du verstehst es langsam. Aber du hast keine Angst.«
»Ich habe keine Angst vor dir. Du bist ... inzwischen wie ... wie eine ...«
»Sag es nich! Wehe! Und du solltest lieber Angst haben. Nich vor mir, vor Neko! Sie is immer lieb zu mir, aber manchmal ... wenn ich sie wütend mache ... Angst macht Vorsichtig. Und du solltest mehr Angst haben.«
»Ich versteh nicht, was du ...« Ein lautes Klacken und sie hockten plötzlich im Dunkeln. Nur die schwachen Lichterketten über der Couch warfen noch ihr Schummerlicht über die seelenruhig schnarchenden grauen Felle hinweg in den Raum.
»Keine Panik, Onkel Andro hat die Lösung.« Durch die Dunkelheit zuckten, neben dem nun wieder sichtbaren Wetterleuchten des Sturms draußen, die weißen Funken eines klickenden Zündsteins. »Ich glaube, ohne Licht sehen wir das komische Schimmern besser.« Dann entflammte das zischende Gasgemisch und ein kleiner Feuerball warf seine Welle aus lodernder Hitze durch den Raum. Azur nahm schützend den Arm vors Gesicht. Die großen Augen des Flammenkinds spiegelten kindliches Staunen und elementare Sehnsucht wider und sperrten das Feuer fest in sich ein. »So, kleines Fräulein, wenn du möchtest, bekommst du jetzt eine Spezialbehandlung à la Acetylen-Sauerstoff. Bereit? Dann einmal aufstehen bitte.«
»Azütel...-was?«
Während Azur Serva beim Aufstehen unter die Arme griff, regelte sein Bruder die Flamme zu einem rauschenden Blau herunter. »Sorry, Bruderherz, pack das Winz-Feuerzeug weg, ich hab halt immer noch den Größten.« Mit überbreitem Grinsen, zu erahnendem Psychoblickhinter den zwei schwarzen Gläsern der Schweißerbrille und in blauen Feuerscheingetauchtem Gesicht trat er hinter Serva.
»Kennst du Tessa noch?«, fragte Azur. »Der Pyromanin hättest du, so, glatt einen Heiratsantrag machen können.«
»Jupp, hätte ich wohl. Aber ich spann meinem kleinen Bruder wohl kaum die Freundin aus. Jetzt geh mal einen Schritt beiseite. – Darf ich?«
Azur trat zurück und Serva drehte ihnen wieder den Rücken zu. Mit den Händen, in denen sie das Laken festhielt, um wenigstens den unteren Teil ihres Pos zu verdecken, stützte sie sich leicht nach vorn gebeugt auf einer der Werkbänke ab. »Kann losgehen. Gib mir dein Feuer.« Jetzt konnte sie auch die lüsterne Vorfreude in ihrer Stimme nicht mehr verbergen.
»Du meinst, ich soll's dir so richtig geben?«
»Ja! lass mich brennen!«
»Ich mach dich heiß, Baby!«
»Von hinten!«
»Dann komme ich jetzt!«
»Aber nur auf den Rücken.«
»Wenn du drauf stehst, dann ...«
Azur pfefferte seinem Bruder das leere Feuerzeug in den Schritt. »Alter! Hört ihr euch eigentlich zu? Ist ja nicht zum Aushalten. Mach endlich, du Gestörter!«
»Was denn? Eifersüchtig? Perverser als die ganze Aktion an sich kann's ja wohl eh nicht werden«, grinste er dem dunkelrot anlaufenden Azur entgegen und senkte dann die Flamme vorsichtig auf ihren Rücken. Das Flammenkind stöhnte laut auf und ließ ihre Brust nach vorn auf den Tisch sinken. Andros Grinsen wich schnell einem mulmigen Gefühl. Die Narben leuchteten allesamt immer heller. Das goldene Licht begann sich zu bewegen, als bestünden die Narben unter ihrer Oberfläche aus glühendem, geschmolzenem Metall. Diese Bewegungen und das Gefühl, das es in Serva auslöste, ließen die Stimme ihres Atmens vor Erregung ungehemmt stetig lauter und höher werden. Ihr Brustkorb hob und senkte sich immer schneller auf dem Tisch, dessen stählerne Kante sie fester und fester umklammerte.
Die Muster auf ihrer Haut verflossen ineinander; bildeten ein neues Symbol nach dem anderen.
Andro ließ die Flamme des Schneidbrenners weiter gleichmäßig zwischen Servas Nacken und ihrem Steißbein kreisen. Jedes Mal wenn die Flamme die Blumennarbe berührte, zuckte Serva unkontrolliert zusammen. Schubweise fühlte sie ihren Körper immer heißer werden. Als die Blume erneut in Flammen stand, durchstießen ihre zarten Finger den schmelzenden Stahl der Arbeitsplatte. Flüssiges Metall tropfte auf ihre Zehen, die sich in steigender Ekstase in den Boden zu krallen versuchten.
Als sich die blaue Flamme wieder ihrem Hals näherte, legte Azur seine Hand auf die Blume. Nur ein schwaches Grünschimmern glomm auf. »Das reicht noch nicht! Bekommst du das noch irgendwie heißer?«
»Klar! Tiefer, härter, schneller ... Wenn's Madame nichts ausmacht, dreh ich voll auf.«
»Ich will mehr! Is okay. Mach schon!«, drängte sie mit einer so ungezügelten Lust in ihrer Stimme, dass es jetzt auch dem älteren der Brüder die Schamesröte ins Gesicht trieb.
Andro, mit dicken Schweißperlen auf der Stirn, drehte mehrere Ventile weit auf. Das sich verschärfende Geräusch des Brenners, das den Schlichter eben noch an das Fauchen der Fluten eines brennenden Wasserfalls denken ließ, zischte und keifte ihm jetzt gefährlich entgegen. Es erinnerte ihn an ...
»... an die Flammenfälle des Blutfeuerstroms von Tartaros, dessen Geysire das flüssige Leben aus den geöffneten Adern des Planeten pressen!«
Woher ihm dieser Gedanke auch kam, aber eines presste er nun auch aus ihm: eine kleine blaue Funkenträne. »Für Philia«, formten seine Lippen, während der Funke Azurs von seiner Nasenspitze tropfte – genau auf das Ornament der Blume.
Die Blume erblühte; veränderte sich; öffnete sich und gab gleißend ihr inneres Schimmern frei.
In einer Druckwelle aus leuchtend grünem Glimmer, die durch den ganzen Raum fegte, löschte der süße Schrei des Flammenkinds die Flamme des Brenners und die Lichterketten brannten durch. – Servas kleiner Tod.
In der verschlingenden Dunkelheit des Ateliers schwebten Milliarden über Milliarden grün glühender, winziger Staubpartikel.
Für einen endlosen Moment herrschte die Stille des Universums in einer Leere ohne Zeit.
Kein Wesen wagte es, zu atmen. – Aus Angst, die zerbrechliche Schönheit dieses surrealen Augenblicks in Schwingung zu versetzen. Die Dunkelheit selbst schien einen endlosen Atemzug zu nehmen.
Erst schleichend langsam, dann immer schneller, schossen die Partikel wieder in ihren regungslosen Körper und gaben dem Raum sein glanzloses Schwarz zurück. Sie mischten sich zum flüssigen Gold und bildeten zwischen dessen Symbolen eine Anordnung von dreizehn Runen, die in ihrer komplexen Form jede Linie sinngebend miteinander verbanden.
Der grün-goldene Pulsschlag des komplettierten Mäandermeers durchzog jetzt gleichmäßig das gesamte drakonische Meisterwerk.
Das Flammenkind schreckte hoch und japste panisch nach Luft. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, bebten ihre geballten Fäuste zornig dem Boden entgegen. Ein angestrengter Schrei drang immer lauter durch ihre knirschenden Zähne und brachte als schmerzhafter Krampf den Fluss des Mäanderstroms zum Stillstand.
Die Kombination des Weltenschlüssels fixierte sich tief in ihrem Fleisch.
Die Muskeln des Flammenkinds entspannten sich kurz. Sie hatte Tränen in den Augen und rang heftig nach Atem. Ein bitter-vorwurfsvoller Blick über ihre Schulter, dann krampfte es erneut jeden einzelnen Muskelstrang in ihr fast bis zum Bersten zusammen.
In diesen zweiten Schrei legte sie all ihre Kraft, alle Wut und allen Schmerz, den ihr kleiner Körper ihr Leben lang erleiden musste.
Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben zerriss es Kiro und Aleandro Janko das blutende Herz in tausend Fetzen. Für genau diese Sekunde weinten beide Servas brennende Tränen – bevor diese von einem weißen Flammensturm verdampft wurden.
Die beiden langen Narben, die ihre Schulterblätter untermalten, explodierten in einem gleißenden Licht, das sofort alles Holz, Stoff und Papier um sie herum in Brand setzte. Aus den klaffenden Wunden schossen zwei weiße Flammenstrahlen, die von Wand zu Wand des gut zehn Meter breiten Ateliers brannten.
Wären Azur und sein Bruder nicht auf die Knie gesunken, hätte ihnen die ausladende Drehung des Flammenkinds wohl glatt die Augäpfel aus ihren Schädeln gebrannt. Stattdessen begannen ihre blitzartig verengten Pupillen, das Wesen, das sie heraufbeschworen hatten, zu erfassen – endeten damit aber unausweichlich, zeitgleich mit dem Blick in die lodernd weißen Augen.
Das Züngeln der beiden Stichflammen verlangsamte sich. Als würden sie die Zeit selbst um sich herum verbrennen, waberten sie nun als riesige helle Plasmawolken zuseiten das Mädchens, das die beiden gütig anlächelte.
»Seid gegrüßt, alter Freund«, sprach sie. »Lang ist es her. Sag ... hast du mich vermisst?« Die unbekannte Stimme war sanft, angenehm und so hell wie ihr Blick.
»Wer bist du?«
»Du verletzt mich, liebster Genesis. Jedes Mal aufs Neue, wenn wir uns wiedersehen. Aber ich verzeihe dir. Du bist ja schließlich noch gefangen in diesem ... Du musst der junge Azur sein, richtig? Verzeih mir, ich habe den Mädchen in den letzten Tagen etwas gelauscht. Klein-Philias Neugier muss wohl schon abgefärbt haben. Wie unschicklich für eine Dame. Aber, wie ich vermute, hast du süßer kleiner Knabe auch schon jemandem gelauscht, nicht wahr? Du hast mir schließlich dieses kleine Fenster hier öffnen können, so weißt du, wer ich bin. Wem ich diene!«
»Du bist Shiva!«
»Du beschämst mich schon wieder, Hübscher.« Vergnügt kicherte das Wesen hinter vorgehaltener Hand. »Wie kann ich denn Shiva sein, wenn du meinem kleinen Neko-Schatz doch ihren Kern noch nicht zurückgegeben hast? Nein-nein, keine Angst. Nicht Shiva. Nicht ganz. Ich bin nur ein schmucker kleiner Teil meiner Göttin. Ein Dreizehntel ihrer Vollkommenheit. Geboren nur aus den letzten Fragmenten der Philia. Ich bin der Flügel Shivas! Siehst du?« Ihr Gesicht strahlte vor Freude, als sie die langen Plasmaschwingen geschmeidig auf und ab bewegte, sie dann eng um ihren Körper schlang, sich einmal fröhlich im Kreis drehte und sie schließlich weit nach vorne streckte, um den beiden Jungs jeweils eine Flügelspitze sanft an die Wange zu legen.
Azur spürte die angenehme Wärme am Gesicht. Er wunderte sich erst, dass es ihn nicht zu Staub verbrannte, doch schnell erkannte er den schützend blauen Schimmer, der jetzt seinen Körper umgab. Und auch den seines Bruders, der mit offenem Mund auf den Fersen vor und zurück kippte.
»Du bist der Weltenschlüssel, oder ein Bruchteil meinetwegen, richtig? Und ... du gehorchst mir!«
»Nicht frech werden, junger Mann. Sagen wir, ich helfe dir, meiner kleinen Freundin Neko zu helfen. Ihre Freunde sind auch meine Freunde. Nur damit wir uns richtig verstehen: Das kleine Menschenwesen, das du bist, das Nekolein so sehr braucht, das ist mein Freund. Das Azur in dir ist amüsant, aber unwichtig für mich. Genesis jedoch ist der Feind! Die Herrin würde wohl keinen Augenblick zögern, ihn in seine Elemente zu zerlegen, aber sie ist zu zwölf Dreizehnteln ja nicht hier. Also keine Angst, Spätzchen.«
»Und wie willst du uns helfen?«
»Indem ich euch in Shivas Namen euer Leben schenke, mein kurzsichtiges Menschlein. Einen Ausweg. Das Geschenk meiner Herrin, das einst dieser Licentia galt. Für das diese wohl bedauernswerterweise keine Verwendung mehr hat. Eben jenen von dir erwähnten Weltenschlüssel. Genaugenommen seine Vorlage. Du musst ihn meiner zarten kleinen Neko-Maus schon selbst in ihre Haut schreiben, bevor die Rune wieder verblasst. Denn ich persönlich komme da ja nicht ran.« Sie kicherte verlegen.
»Portale schreiben ...«, dachte er. »Ich soll ihr ...«
»Unter einer Bedingung!«, unterbrach sie ihn mit ihrer Flügelspitze auf seinen Lippen. »Du wirst jemanden für uns töten! Jemanden, für den wir nun keine Verwendung mehr haben. Sterbende Hülle. Hinderliche Membran. Du weißt, von wem ich rede. Wenn du zögerst, wird unweigerlich jemand anderes in diesem Raum sterben!«
»Woher ...?«
»Weil es jedes Mal dasselbe ist, Schatz. Es muss immer Opfer geben.
Ein Wesen erlangt Macht, ein anderes muss dafür gehen. Entropie mein junger Azur, Entropie ... Das mächtigste Gesetz des Universums, dem sich nichts und niemand widersetzen kann. Vergiss das nie! Alles hat seinen Preis. Und dieser ist immer etwas höher, als das, was man sich dafür erkauft. Ein Ausweg für ein Leben. Dein Leben für ein Leben. Nur ein pragmatisches Tauschgeschäft. Alternativlos, zugegeben. Dafür jedoch simpel und fair. Deal?«
Azurs unverzügliches wie unvermeidliches Nicken quittierte sie mit einem zurückhaltenden Lächeln. Dann nahm ihre andere Flügelspitze Andros Kinn und schüttelte seinen Kopf leicht hin und her.
»Und für dich, mein stummer kleiner Freund, habe ich auch noch etwas. Dafür musst du nur eines tun. Fang diesen Körper hier auf, wenn ich gleich gehe, ja? Damit sie sich das hübsche Köpfchen nicht an der Portalsteuerung hier aufschlägt. Tust du das für Tante Flügelchen?« Sie bewegte seinen Kopf für ihn mehrmals schnell auf und ab. »Ja, das tut der feine Kerl. Nun ... bitteschön.«
Sie zog die Flügel etwas zurück und das weiße Plasma aus denen sie bestanden, fing wieder schneller an zu wogen und zu flackern. Sie teilten sich wie die Finger einer Hand in viele kleine Flammenspeere auf und schossen nacheinander blitzschnell in die Sockel jeder der Skulpturen.
Die Augenlider des Flammenkinds begannen hektisch zu blinzeln und ließen das weiße Licht ihrer Augen dahinter wie ein Stroboskop aufblitzen. Gleichzeitig verloren die Flammen aus ihrem Rücken schnell an Kraft und Helligkeit. Das kräuselnde Leuchten verschmolz schwach mit der Dunkelheit und erlosch schließlich ganz. Mit dem Schließen der Augenlider verschwand auch der letzte fahle Lichtschein, in dem Andro den Umrissen des kleinen Körpers gerade noch unter die Arme greifen konnte, als ihm dieser ausgebrannt entgegenkippte.
(T -34h:35m:00s)
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